Idealismus für «grosse, coole Sache»

Bericht vom 17.09.2022

Startschuss - Auch der damalige «Volksblatt»-Kulturredaktor liess sich nach der öffentlichen Präsentation der neu
gegründeten «Liechtenstein Musical Company» (LMC) im August 1997 vom Enthusiasmus und Engagement der sechsköpfigen LMC-Führungscrew anstecken: «Die schaffen das! Und zwar auf jeder Ebene», lautete sein Urteil.

Musiktheater ist eine besonders aufwendige Form der darstellenden Bühnenunterhaltung. Das weiss jeder, der einmal einen Blick hinter die Kulissen von professionellen Opern-, Operetten- oder Musicalhäusern werfen durfte. Zunächst braucht es auf der Bühne Akteurinnen und Akteure, die schauspielen, singen und sich zu einer mehr oder weniger aufwendigen Choreografie bewegen können. Dann braucht es oft noch ein professionelles Ballett beziehungsweise eine Tanz-Crew.

Und nicht zu vergessen: Instrumental braucht es im Orchestergraben alles zwischen einer Band, einer Bigband, einem kleinen oder sogar grossen Sinfonieorchester. Wenn alles live ist, natürlich. Playbacks für die Sänger gibt es erst seit einigen Jahren (vermehrt) im Musicalbereich. Dafür sind dann aber auch Bühnenbild, Lichtführung und Beschallung wichtig. Das alles bedeutet auch und gerade für Profi-Betriebe einen riesigen personellen, technischen und finanziellen Aufwand. Die Verantwortlichen der hiesigen semiprofessionellen Operettenbühnen fragen, die in Balzers seit 1946 offiziell spielen und in Vaduz seit 1962. Seit einigen Jahrzehnten jährlich wechselnd, um für die Veranstalter den Aufwand zu teilen, aber dafür aus der Warte des Publikums für durchgehende Operetten-Kontinuität zu sorgen.

Die Operettenbühnen Balzers und Vaduz liefern ein gutes Stichwort. Denn natürlich ist Liechtenstein zu klein, um sich fixe Ganzjahresbühnen wie in Grossstätten leisten zu können. Hier sind die Operettenproduktionen zwangsläufig saisonale Projekte, die im (Mehrzweck-)Gemeindesaal Balzers und im (Mehrzweck-)Vaduzer Saal über die Bühne gehen (müssen). Neben Profi-Solisten – oft von weiter her – müssen auf der Bühne auch semiprofessionelle Kräfte – zumeist aus dem Land und der Region – zum Einsatz kommen. Dazu eine kleine Heerschar ehrenamtlich engagierter Helfer. Materielle und ideelle Gönner, Sponsoren, Freunde und Förderer müssen ebenfalls fortlaufend begeistert und bei der Stange gehalten werden.

Wer wagt, gewinnt
So, und wenn es jetzt im Land schon zwei Operettenbühnen gibt, ist dann der Musiktheaterbereich nicht bereits zu Genüge abgedeckt? Nein, weil gerade junge Menschen in Bands oder Jugendchören mehr auf Sounds aus dem Pop-, Rock-, Souloder Gospelbereich stehen und solche Lieder auch einzeln in ihren Konzertprogrammen singen. Nichts gegen klassischen Gesang – er steht halt nur unter jungen Instrumentalund Gesangsmusikern oft nicht an erster Stelle. Aber deshalb gleich komplette Musicals auf die Bühne stellen, die von Aufwand und Anspruch her mit den erwähnten Operetten verglichen werden können? Ist das nicht ein zu grosses Wagnis? Das «Volksblatt» zitiert am 18. August 1997 aus dem Gründungsprotokoll der LMC vom 9. Juli 1997: «Mit Akklamation wurden die folgenden Personen zu Vorstandsmitgliedern gewählt: Hans Nigg (Präsident), Josef Heinzle (Vizepräsident), Götz Ahrens (Aktuar), Louis Vogt (Kassier), Christian Kindle (Spielleiter), Jürg Dinkelmann (Promoter). Nach diesen Wahlen fasste der Vorstand einstimmig folgende Beschlüsse: Als erstes Musical wird ‹Hair› aufgeführt. Zum musikalischen Leiter dieser Aufführung wird Josef Heinzle bestellt.» Der «Volksblatt»-Redaktor erklärte – aus damaliger Sicht zurecht – kritisch weiter: «Kaum zu glauben: Die LMC wird bereits im Herbst 1998 das Musical ‹Hair› auf die Bühne bringen. Kaum zu glauben deshalb, da die Gattung Musical ein grosses Engagement in verschiedenen künstlerischen Bereichen verlangt (das Musical ist eine Mischgattung des Musiktheaters, in der Musik, Gesang, Tanz, Schauspiel und Show eine Einheit bilden).»

Eben. Wie weiter oben schon ausgeführt: Ein komplettes Musical in niveauvoller Durchführung auf die Bühne des Balzner Gemeindesaals zu bringen, war damals eine gewagte Vision. Aber der Enthusiasmus des LMC-Gründungsvorstands wirkte überzeugend. Nicht nur auf den Berichterstatter. Auch auf das später begeisterte Publikum. Und was war das damals gesetzte – und auch heute noch gültige – Ziel der neuen Musical Company? Louis Vogt vom August 1997: «In einem Turnus von zwei Jahren soll ein Musical, in erster Linie durch den einheimischen Nachwuchs, öffentlich zur Aufführung gebracht werden. Künstlerisch begabte und interessierte Jugendliche und Erwachsene sollen die Gelegenheit zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung erhalten, und die Möglichkeit, sich in einem professionellen Rahmen musikalisch und/oder darstellerisch zu entfalten. Die Aufführungen sollen professionell so vorbereitet werden, dass sie vor einem kritischen Publikum bestehen können.»

Als erstes LMC-Musical wurde für den Herbst 1998 «Hair» gewählt, weil hier viele Leute und vor allem viel förderungswürdiger Nachwuchs eingebunden werden konnte. Die Idee der Nachwuchsförderung bewährte sich auch in den Folgejahren. Auch die gelungene Mischung aus Profis, Semiprofis und guten Laien auf der Bühne. Nach der viel bejubelten Premierensaison mit «Hair» im Herbst 1998 folgte im Jahr 2000 das ebenso bunte Musical «Joseph And The Amazing Technicolor Dreamcoat». 2002 kam «Jesus Christ Superstar», 2004 «Evita», 2006 «Dracula», 2008 «Cabaret», 2010 «Grease», 2012 «Aida», 2014 eine Reprise von «Hair» und 2017 schliesslich das Musical «Daddy Cool». Parallel zu den Musical-Produktionen wurden Musical-Workshops unter professioneller Leitung mit abschliessenden Musical-Galas eingeführt.

Die Pandemie der vergangenen zwei Jahre vermochte dem LMC-Projekt zwar einen Dämpfer zu verpassen, aber der Enthusiasmus, das Engagement und nicht zuletzt die wachsende Professionalität – inklusive einiger geförderter Start-up-Karrieren im Musicalbereich – der LMC-Mitwirkenden aus vergangenen und aktuellen Tagen konnte nicht gebrochen werden.
Dass die «Liechtenstein Musical Company» lebt, wurde bei der grossen Jubiläumsgala am vergangenen Samstag im randvollen Balzner Gemeindesaal wieder mal aufs Schönste deutlich. Wer den Termin verpasst hat – oder noch einmal kommen möchte – hat morgen noch einmal Gelegenheit dazu.
Und wie meinte schon Louis Vogt anno 1997 ebenso programmatisch wie prophetisch: «LMC, das sind professionelle, nicht kommerzielle Grossveranstaltungen, durchgeführt von Idealisten. Der grösste Lohn für alle wird das gute Gefühl sein, bei einer grossen, coolen Sache dabei gewesen zu sein. Spass, Freude und Professionalität werden sich die Hand geben.» (jm)

Foto oben: Das Gesicht der «Liechtenstein Musical Company», Hans Nigg.
Foto Mitte: Mit «Hair» fing 1998 alles an.
Foto unten: 2017 wurde «Daddy Cool» aufgeführt.
(Fotos: Paul Trummer, Klaus Schädler, Nils Vollmar)

 

 
Reminiszenzen mit Rosen an LMC-Gala

Bericht vom 12.09.2022

Schwungvoll - 25 Jahre Liechtenstein Musical Company (LMC) waren am Samstag – und sind noch einmal kommenden Sonntag – Anlass für eine flotte, berührende und sehr kurzweilig unterhaltsame Jubiläums-Musical-Gala im randvollen Balzner Gemeindesaal.

LMC-Urgestein Patrick Biagioli als Moderator und Programmplaner des Gala- Abends wusste genau, warum er die berühmte Strassentanzszene aus Alan Parkers Musicalfilm «Fame» (1980) an den Beginn der (netto) rund zweieinhalbstündigen bunten Pop- und Musical-Revue im Gemeindesaal stellte. Denn dieser Film, der seinerzeit eine Gruppe von jugendlichen Musik-, Tanz- und Schauspielschülerinnen und -schüler durch ihre Ausbildungszeit an der High School of Music and Art in Manhattan begleitete, fasst zusammen, worum es jungen Nachwuchstalenten in den darstellenden Künsten geht: Um den Traum vom Ruhm auf den Brettern, die die Welt bedeuten – weil diese Jugendlichen für sich eine Welt erträumen, die grösser und bedeutsamer ist als die oft drögen materiellen Angebote der bürgerlichen Alltags- und Durchschnittswelt. Typisch jugendlicher Idealismus und Überschwang? Selbstverliebter Drang nach dem Herausstechen aus der Menge? Eine rosa Zukunftsvision von einem einfachen Weg zum Applaus der Menge, zu einer frei – und selbst-befreiend – auffliegenden Karriere zum bejubelten Star auf der Bühne oder im Film, im Hit-Radio oder im Konzertsaal?

LMC-Präsident Hans Nigg spricht zum Publikum im Balzner Gemeindesaal.

 
Teils ja und teils nein. Denn wer jetzt altersmilde über «die Jugend» lächeln möchte, darf im TV keine Castingshow von UK/America/Australia’s Got Talent über DSDS und Starmania anschauen, darf sich keine Youtube-Videos, Instagram-Influencer- Clips oder TikTok-Beiträge zu Gemüte führen und darf nicht einmal mehr Internet-Plattformen wie Facebook, Whatsapp oder gar Telegram nutzen. Denn auf all diesen Kanälen geht es im Grunde um jene Viertelstunde Berühmtheit, die einst Andy Warhol für jeden Menschen als neues (Natur-)Recht im beginnenden Medienzeitalter eingefordert hat. Das war 1968. Und ganz ehrlich: Stünde hinter allem nicht der Traum von der grossen Karriere, gingen sich auch keine ernstlich wahrgenommenen 15 Minuten aus. Denn die Menge der Menschen ist gross und wächst – und die Konkurrenz auch.

Und so ebnete der seinerzeitige Kino- Erfolg von «Fame» (1980) eigentlich auch einzig für die junge Coco- Hernandez-Darstellerin Irene Cara den Weg zum ganz grossen Ruhm. Auf ihren 1981 Oscar-prämierten Synthie-Discopop-Titel-Song «(Fame) I’m Gonna Live Forever» folgte der 1983 ebenfalls Oscar-prämierte Hit «Flashdance … What a Feeling» aus dem nachfolgenden Kino-Boxoffice- Crasher. Der Rest ist Bühnengeschichte.

Tanze und singe es raus
Was für das «grosse» New York, für den Broadway, das Londoner Westend, das Berliner Theater des Westens oder das Hamburger Stage Theater gilt, gilt ganz genauso für die vermeintlich «kleinen» Verhältnisse in Liechtenstein und der Region. Junge Leute mit Musik-, Bewegungsund Darstellungstalent möchten auf die Bühne – und sie engagieren sich mit Herzblut und ohne vordergründig materielle Absichten für das ehrliche Gelingen jeder Show.

Und das war am 9. Juli 1997 die Gründungsidee der Liechtenstein Musical Company (LMC) in Balzers – fast punktgenau vor 25 Jahren: Jungen Leuten eine Bühne, eine Plattform der künstlerischen Bewährung vor Publikum zu bieten; vielleicht nicht zuvorderst, aber doch zumindest kollateral nützend und fördernd auch das eine oder andere zukunftsträchtige Jungtalent erkennen, dem ein Stück weit der Weg zu einer professionellen Karriere gebahnt werden könnte.

So wie für Patrick Biagiolis samstäglichen Co-Moderator Tino Andrea Honegger, der auf offener Bühne aufrichtig «Dankeschön» zu LMC-Präsident Hans Nigg in der ersten Reihe sagen konnte. Dankeschön dafür, dass Hans Nigg ihn vor vielen Jahren als Nebendarsteller in einer Bühnenshow erblickte und sofort erkannte, dass dieser junge Mann, Tino, nicht an den Rand, sondern in die Mitte einer Show gehört. Der ihn dann als Mitwirkenden und späteren Regisseur und Musical-Workshop-Dozenten zum LMC holte. Ein Tino Andrea Honegger, der sich mittlerweile in 35 Produktionen in der deutschen Musiktheater- Szene fix etablieren konnte. Unter anderem als Hauptdarsteller Frank N. Furter in der berühmten «Rocky Horror Show». Als Geste des Dankes sang Tino dann im Rahmen der besprochenen Samstagsgala die beiden Songs «Sweet Transvestite» und «I’m Going Home».

Bunte Bühnenshow
Naturgemäss gehörte die Bühne abseits dieser beiden Songs einer weiteren grossen Schar früherer und heutiger LMC-Mitwirkender. LMCUrgestein und Choreografin Marion Büchel begeisterte zum Auftakt mit ihren Tanzschülerinnen und dem zu Beginn erwähnten «(Fame) I’m Gonna Live Forever». Die einstige Break- Dancer-Truppe von «Daddy Cool» (2017) begeisterte vor und nach der Pause ihrerseits das Publikum im Saal. Nadine Frick überraschte aufs Angenehmste mit dem Song «Frank Mills» aus «Hair» (1998) und der authentischen Country-Ballade «Breathe » von Faith Hill.

 

Sängerin Miriam Dey und LMC-Talent Michèle Möhr.

 
Miriam Dey sorgte für bewegend romantische Momente mit Mary Poppins’ Song «Ein Löffelchen von Zucker », «Zum ersten Mal seit Ewigkeiten » aus dem Disneyfilm «Frozen» oder «I Feel Pretty» aus der «Westside Story». Michèle Möhr glänzte mit dem ESC-Siegertitel «Rise Like A Phoenix» von Conchita Wurst ala Tom Neuwirth. Ann-Kathrin Biagioli überraschte wiederum besonders beeindruckend mit dem Lied «Einsames Gewand» aus dem Musical «Die Päpstin » (aktuell in Neuschwanstein) sowie im Duett mit Miriam Dey und dem Song «Regen auf Rosen» aus dem Hitmusical «The Sound of Music».

Gabriel Primoceri und Riccardo di Francesco sangen sich quer durch Musical, Pop und Country. Und der (beinahe) letzte und grösste Teil der Show gehörte der LMC-Entdeckung Julian David («Grease» 2010, «Aida» 2012), der später in Deutschland bei Florian Silbereisen erfolgreich ins Schlager-Business einsteigen konnte. Der «VoXXclub»-Hit «Rock mi» gehörte natürlich ebenso in sein Programm wie Highlights aus «Grease » und «Aida». Spätestens jetzt war das mitklatschende Publikum im Saal kaum mehr zu bändigen. Bewegende Momente. (jm)

 

 
 

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